Translate

Montag, 14. Juni 2010

Die Erzaehlungen von Gabriel García Márquez


Auf den langen Busfahrten nach Guayaquil und zurueck habe ich auch die Erzaehlungen von Gabriel García Márquez gelesen. 26 Geschichten, zwischen vielleicht 5 und 50 Seiten lang, erzaehlen teils phantastisch und grotesk ueber Gewalt, Tod und Einsamkeit, aber auch die alltaeglichen Dinge in Kolumbien. Die Geschichten sind 50 Jahre alt, geben aber erstaunlich viele Eindruecke wieder, die auch fuer das Nachbarland Ecuador zutreffen koennten:
  • Das typische Mittagessen besteht aus Yuca-Suppe (in Uganda als Kassava bekannt, in Deutschland auch als Maniok) und dann Reis mit Fleisch und Bohnen.
  • Als Waescheleine wird ein Draht verwendet.
  • Verrostete Wellblechdaecher.
  • Riesige Bananenplantagen (an der Costa Ecuadors), bzw. Haziendas.
  • Der Winter beginnt im Mai mit starken Regenfaellen, Feuchtigkeit und Kaelte (das erleben wir gerade in San Francisco, wobei Kaelte 20º bedeutet im Vergleich zu 27º im Sommer...).
  • Im Sommer herrscht drueckende Hitze (habe ich in Guayaquil erlebt).
  • Bei Begraebnissen sieht man den Leichnam im Sarg.
  • Eine Geschichte erzaehlt vom Señor Herbert, dem schwerreichen Gringo, der mit seinen zwei grossen Truhen voller Geld die Probleme der armen Dorfbevoelkerung loesen will.
  • Der eitle und sich in Szene setzende Praesident (der ecuadorianische Praesident Rafael Correa Delgado hat gerade im Fernsehen verkuendet, dass er seinen woechentlichen Samstags-Bericht waehrend der Fussball-WM zweimal aussetzen wird, da auch er Fussball gucken moechte...).
  • Mehrere Geschichten handeln von (vermeintlichen) Dieben, die ein ganzes Dorf zum Aufruhr bringen (siehe Fangen von Dieben).
Nicht gemeinsam mit (dem heutigen) Ecuador sind mir bisher nur zwei Dinge aufgefallen:
  • Es wird oft von Eisenbahnstrecken berichtet, sowohl fuer den Guetertransport (ein nicht enden wollender Zug mit 142 Waggons voller Bananen) als auch fuer den Personenverkehr (Ankunft auf einem verlassenen Dorfbahnhof in sengender Mittagshitze, dessen Pflastersteine vom Unkraut aufgebrochen werden). In Ecuador gibt es zwar die beruehmte Eisenbahnstrecke von Quito bis fast nach Guayaquil (Duran auf der anderen Flussseite), die aber nur noch auf einem kleinen Teilstueck touristisch benutzt wird. Den Transport uebernehmen Lastwagen und Busse.
  • Der kolumbianische Dorfbuergermeister ist gleichzeitig auch oberster Polizist, Richter und Staatsanwalt, was in Ecuador nicht der Fall ist. Dafuer werden Dorfbuergermeister in Ecuador meist Praesident genannt, San Francisco hat so einen Praesidenten.

Trauer

In der Nacht zum vergangenen Donnerstag ist mein Gastvater aus Guayaquil von 2006 Richard Concha verstorben. Er war wohl zwei Tage vorher mit Atembeschwerden ins Krankenhaus gekommen, die dann bis zum Atemstillstand eskaliert haben. Das war wie ein Schock, Richard war gerade mal zwei Jahre aelter als ich. Vor einem Monat hatten wir noch zu meiner Hochzeit telefoniert.

Richard 2006 an seinem Geburtstag

Dann ging alles ganz schnell: Am Freitag nachmittag war die Beerdigung. Wir waren gerade in Ambato, als ich ueber Internet davon erfahren hatte, und so stieg ich am Freitag frueh alleine in den Bus von Ambato nach Guayaquil, um die sechsstuendige Fahrt von der regenkuehlen Sierra in die tropisch heisse Costa zu unternehmen. Silvia und Melissa blieben in der Sierra, da Melissa das heisse Klima nicht vertraegt.

Auf Richards Bett versammelte sich die Familie (2006).

In Guayaquil kuemmerte sich Felix (Annikas Freund) und seine Familie (bei der ich uebernachten durfte) ganz ruehrend um mich, holte mich vom Busbahnhof ab, fuhr mit mir zum grossen Trauersaal, den ich schon von der Beerdigung von Richards Vater 2006 kannte. Richard lag vorne im aufgeklappten Sarg unter einer Glasscheibe. Viele Angehoerige und Freunde hielten Reden, in denen sie sich erinnerten, wie sie Richard erlebt und wie er ihnen immer geholfen hatte. Die Mitarbeiter seiner Firma Mash zeigten eine Multimedia-Diashow, ausserdem wurden grosse Fotos von ihm gezeigt. Nach einem Gottesdienst erfolgte dann die Kremation.

Richard 2008

Vor meiner Rueckfahrt am Samstag mittag schaute ich noch in Richards Haus vorbei. Sein Bruder, seine Schwester und Teresa kamen gerade mit der Urne vom Krematorium und fuhren spaeter gemeinsam zum Strand, wo dem letzten Willen gemaess Richards Asche im Meer verstreut werden sollte. Mash wird zukuenftig von Richards Bruder geleitet werden, der seit zwei Jahren auch im Haus wohnt.

Richard 2006

Mittwoch, 9. Juni 2010

Alltag in Ecuador

Wir geniessen noch die letzten knapp zwei Wochen in Ecuador, Zeit mal wieder ueber einige Dinge des Alltags hier zu berichten:

Die Jugendlichen haemmern Obstkisten vor dem Haus von Silvias Eltern zusammen.

Wirtschaft in San Francisco: Wovon leben die Leute in San Francisco, einem kleinen Dorf am Rande einer Landstrasse? Die Gegend um San Francisco ist beruehmt fuer ihre Obstsorten, vor allem Mandarinen. Wenn man durch das Dorf faehrt, sieht man mindestens zehn Obststaende, die die Fruechte direkt an der Strasse verkaufen. Will man das Obst weiter, z.B. zum grossen Montagsmarkt in Ambato transportieren, benoetigt man Holzkisten. Silvias Vater betreibt zusammen mit seinem Bruder ein kleines Saegewerk und eine Holzkisten-Manufaktur und verschafft so seinem Bruder ein kleines Einkommen. Gesaegt werden Bretter fuer Mandarinen-, Baumtomaten- und Lulo-Kisten (Lulo, auf spanisch Naranjilla, ist eine in Ecuador sehr verbreitete Frucht), die Kistenmasse unterscheiden sich je nur um einen Zentimeter. Die Kisten werden manuell zusammengenagelt, von Schuelern die sich damit ein Taschengeld verdienen (7 Centavos pro Kiste, ein Schueler schafft etwa 100-150 Kisten am Tag). Per Lastwagen werden dann bis zu 500 Kisten (Kaufpreis 50 Centavos pro Kiste) abgeholt, oder von vielen auch nur die Bretter zum Selberzusammenbauen. Silvias Eltern verkaufen auch die vielen Mandarinen aus ihrem Garten und bekommen pro Kiste dann 3-5 Dollar.

Silvias Vater verschliesst die Mandarinenkisten fuer den Verkauf.

Schuhgroessen: In Ecuador haette ich es auf Dauer schwer mit Kleidung und Schuhen. Herrenschuhe werden nur bis Groesse 42/43 angeboten. Der Italiener aus dem Nachbardorf, in dessen Pizzeria wir unsere Hochzeit gefeiert haben, lebt seit acht Jahren in Ecuador, vorher hat er in New York gelebt. Er hat wie ich Schuhgroesse 46 und kauft seine Schuhe immer im Urlaub in New York oder Italien.

Frisch gefangene Forelle gebraten mit Reis, Patacones (aus Kochbananen) und Salat.

Kartenspiel Cuarenta: Das ecuadorianische Nationalkartenspiel heisst Cuarenta (wie die Zahl 40). Es wird mit 52 normalen Karten (wie Rommé oder Canasta) gespielt, wobei die 8,9 und 10er aussortiert werden. Man spielt zu viert in zwei Paaren gegeneinander, legt der Reihe nach seine Handkarten ab und bekommt Punkte, wenn man die Karte seines Vorgaengers mit der gleichen Karte (also z.B. Koenig mit Koenig, egal welche Farbe) sticht. Man kann auch Strassen stechen (also z.B. ein As, 2, 3 mit einem As) oder Karten zum Stechen addieren (z.B. eine 2 und eine 4 mit einer 6 stechen). Das Paar, das zuerst 40 Punkte erreicht hat, hat gewonnen, daher der Name Cuarenta.

Im Supermarkt gibt es mitunter Babyschalen auf dem Einkaufswagen (hier in Quito).

Auslaender in Baños: Im nahen Baños gibt es viele Touristen (aus Ecuador und auslaendische) und wir haben letzte Woche auch zwei dauerhaft dort lebende Auslaender kennengelernt: Der erste ist ein Deutscher, gross geworden in Bayern, der in Baños schon seit Jahren (Jahrzehnten?) ein Hotel und Tourbuero betreibt. Er hat uns neulich, wir auf einen Bus wartend, in seinem Jeep nach Baños mitgenommen. Er hat alle Vulkanausbrueche des Tungurahuas (seit seinem Wiederausbruch 1999) miterlebt und beurteilt die augenblicklich stattfindenden Evakuierungsuebungen als zwar gut, aber auch ueberfluessig: "Im Ernstfall reagieren die Ecuadorianer hier sehr chaotisch, ganz anders als in den Uebungen.". Der zweite Gringo (Auslaender) kommt aus Michigan, USA, und lebt seit 14 Jahren in Baños mit seiner Frau aus Guayaquil. Sie betreiben ein nettes Café mit Buecherausleih- und -tauschecke und kostenlosem Nachmittagskino. Unser gemeinsamer Ansprechpunkt waren u.a. unsere fast gleichaltrigen Toechter.

Forellenangeln: Kusinchen Rosa zeigt ihren grossen Fang

Muttertag, Vatertag und Kindertag: Diese Tage werden in Ecuador sehr gefeiert, aehnlich wie der Muttertag in Uganda. Waehrend der Muttertag und der Kindertag wie in Deutschland am zweiten Sonntag im Mai und am 1. Juni gefeiert werden (und der ganze Mai, vor allem von der Werbung) als "Monat der Mutter" bezeichnet wird, ist der genaue Vatertag etwas strittig: Silivas Schwestern Amparo und Alicia riefen am 1. Sonntag im Juni zum Glueckwuenschen an (wie es in der Schweiz seit 2007 gehandhabt wird), Silvias dritte Schwester Irma ist vom zweiten Sonntag im Juni ueberzeugt (so machen es die Oesterreicher) und Wikipedia Español spricht fuer Lateinamerika allgemein und Ecuador speziell vom dritten Sonntag im Juni (so machen es die Amis und Kanadier). Aber mit den Daten (z.B. auch von Geburtstagen) nehmen es viele Ecuadorianer sowieso nicht so genau, wir haben (auch wegen der Hochzeit am Muttertagswochenende) hier Muttertag und Vatertag zusammen am letzten Maisonntag gefeiert, Silvias Eltern jeweils ein Paar Hausschuhe und grosse Handtuecher geschenkt und zur Feier des Tages Cuy (also Meerschweinchen) gegessen...