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Mittwoch, 26. Juli 2023

Ecuador, Land der Extreme

Nach vier Jahren Lockdown-Pause sind wir zum ersten Mal wieder zusammen in Ecuador. Was soll man schreiben, wenn man zum achten Mal hier ist und schon so viel geschrieben hat? Diesmal will ich einige Extreme beschreiben, die dieses viertkleinste Land von Südamerika zu bieten hat.

Familie

2012 mit René (stehend) beim Maismahlen
Ecuador ist ja für mich immer ein Familienbesuch. Wir wohnen im herrlichen Dorf San Francisco auf ca. 1.300m Höhe bei Silvias Mutter und ihrer Schwester Irma zwischen den Anden und dem östlichen Urwald. Hoch genug, dass die Wolken sich in den Bergen verfangen, tief genug, dass diese Berge komplett mit tiefem Wald bedeckt sind. Doch zuerst hat ein trauriges Ereignis die ganze Familie zusammengebracht. Don René, Silvias Onkel ist kurz nach unserer Ankunft Montag früh mit 92 Jahren verstorben. Wie immer (leider habe ich schon einige Beerdigungen hier erlebt) geht dann alles sehr schnell: Aufbahrung mit geöffnetem aber mit Glas verschlossenem Sarg im Trauersaal (Velorio, Totenwache) den ganzen Montag über (wir trafen gegen 12:00 ein), Beerdigung am Dienstag. Seine in Spanien lebende Tochter Carly traf noch am Montag um 17:00 in Quito ein, rekordverdächtig. Der Trauerzug fuhr/lief mit dem Sarg bei strahlender Sonne durch die Stadt Puyo vom Trauersaal bis zum Friedhof, wo der Sarg überirdisch beerdigt wurde. Dabei ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass der ecuadorianische Totengräber ein Maurer ist. Schiebegräber habe ich ja schon einmal beschrieben, das sind überirdisch angeordnete schließfachähnliche Gräber. Der Sarg wird bei der Beerdigung von den Angehörigen in sein Fach geschoben, dann kommt der Totenmaurer und mauert das Fach zu, mit passend zugeschnittenen Steinen und Mörtel, am Schluss wird die ganze Oberfläche mit dem Mörtel verputzt und ein Angehöriger schreibt mit einem Stock den Namen des Toten in den Mörtel. Das Ganze dauert ca. 15 Minuten. Später wird dann ein Grabstein vor die verputzte Mauer gesetzt und in der Regel ein verschließbares Fenster vorgebaut, hinter das man etwas stellen kann. 
Anschließend kam die Familie bei Kusinchen Rosa zu Kaffee und Kuchen zusammen. Dabei wurde auch eine WhatsApp-Gruppe "Familia" mit inzwischen 35 Mitgliedern auf drei Kontinenten ins Leben gerufen. Irgendwann fiel uns auf, dass bei den meisten der Name Familia schon existierte, also wurde sie in "Familia Peluche" (etwa Familie Kuscheltier) umbenannt.
Familie Kuscheltier nach der Beerdigung bei Rosa
Die neue Gruppe haben wir genutzt, um Ausflüge zu organisieren, und so gab es weitere Familienbilder und Ausflüge mit bis zu 19 Personen:
Im Urwald bei Puyo

Forellenangeln in Rio Negro

Wasserfall in Rio Verde

Der höchste Berg der Welt? Der längste Fluss? Das größte Landschaftsgebiet? Dichteste Artenvielfalt?

Alexander von Humboldt bereiste um die Jahrhundertwende des 18./19. Jahrhunderts Südamerika und machte sich am 23.06.1802 auf, den Chimborazo zu besteigen, damals der höchste bekannte Berg der Welt mit 6.263m. Er schaffte es nicht bis zur Spitze, fehlende Ausrüstung, Schnee, Kälte und die Höhenkrankheit ließen ihn zwischen 5.600m und 5.900m die Besteigung abbrechen. Es war trotzdem die lange Zeit größte bergsteigerische Leistung eines Menschen. 50 Jahre später wurde der Mount Everest entdeckt, der heute mit 8.844m als höchster Berg der Welt gilt. Bei Höhenmessungen hat man sich irgendwann auf den Meeresspiegel als Bezugspunkt geeinigt. Würde man den Erdmittelpunkt verwenden, wäre der Chimborazo immer noch der höchste Berg der Welt, etwa 2km höher als der Mount Everest. Das liegt daran, dass durch die Erddrehung und damit die Fliehkraft das Meerwasser und der Meeresspiegel am Äquator nach außen geschleudert wird, während er an den Polen flacher ist. Der Chimborazo liegt wie ganz Ecuador (deshalb der Name) am Äquator, der Mount Everest liegt dagegen auf knapp 28° nördlicher Breite. 201 Jahre nach Humboldt sind wir mit dem Auto auf 4.350m Höhe zum Chimborazo gefahren. Höhenkrank waren wir nicht, aber bei unserem Taxi ließ sich in der Höhe der Rückwärtsgang nicht mehr einlegen. Später in den "normalen" Anden ging es dann wieder.
Kleinfamilienbild bei starkem Wind am Chimborazo
Am Fuße des Chimborazo liegt auf 2.750m die Stadt Riobamba am Fluss (Río) Chambo. Der Chambo fließt weiter in den Anden bis kurz vor Baños, wo er sich mit dem Río Patate vereinigt und ab dann zum Río Pastaza wird. Ab Baños fließt er östlich die Anden hinab, der Río Blanco (weiß) und der Río Verde (grün) mit seinem spektakulärem Wasserfall Pailón del Diablo fließen in den Pastaza, dann fließt er hinter Abuelitas (Omas) Haus in San Francisco vorbei, dann mündet der Río Negro (schwarz) in ihn. Es folgen der Río Puyo und weitere Zuflüsse, bis der Pastaza nach Peru fließt und dort in den Río Marañón fließt. Der Río Marañón verbindet sich in Peru mit dem Río Ucayali und heißt von dort an Río Amazonas, auch wenn er in Brasilien streckenweise Rio Solimões heißt. Der Amazonas streitet sich mit dem Nil um den Titel des längsten Flusses der Welt, unumstritten ist er der wasserreichste Fluss der Welt. Er ist mehr als fünfmal so lang wie der Rhein, führt aber (an der Mündung) die 70-fache Wassermenge. Das Amazonasbecken liegt in neun Staaten Südamerikas, ist 7 Mio. km² groß (was einem Zwanzigstel der gesamten Landfläche der Erde entspricht) und damit das größte zusammenhängende Landschaftsgebiet der Erde.
Wasserfall Pailón del Diablo am Río Verde
Das Amazonasbecken fängt also östlich der Anden an und zieht sich bis zum brasilianischen Atlantik hin. Der östliche Teil Ecuadors wird deshalb neben Oriente auch Amazonia oder Region Amazónica genannt. Der Yasuní Nationalpark in Amazonía ist einer der Biodiversität-Hotspots der Welt, die alle um den Äquator herum liegen. In diesem gleichmäßigen tropischen Klima entwickeln sich die Arten am besten, die Artenvielfalt pro Fläche ist am höchsten.
Das Amazonasbecken (Lizenz Creative Common, Kmusser 2008) inkl. Pastaza
 

Sonntag, 25. September 2022

Würfelfreuden 3: Einfache Zugfolgen ausdenken

Eine weitere Möglichkeit, Würfel zu lösen, ist einfache Zugfolgen auszuprobieren und zu schauen, was da passiert. Dazu muss der Würfel allerdings im besten Fall gelöst sein, dann sieht man die Veränderungen am besten. Sie laufen meist nach einem regelmäßigen Muster vor-vor-zurück-zurück ab, können mehrfach wiederholt werden und kommen meist irgendwann wieder in die Ausgangssituation zurück.

Beim Zauberwürfel gibt es z.B. den sogenannten "sexy move", der geht so:

Der sexy move: rechts oben, oben links, rechts runter, oben rechts

Wenn wir den 3x hintereinander anwenden, kommen wir auf dieses Ergebnis:

vertauscht 2 Ecksteine oben und 2 vorne

Das ist zwar recht mühsam, dafür ist die Zugfolge einfach zu merken. Und beim Pyraminx (Zauberpyramide) und Skewb kommt man mit dieser Kombination sehr schnell vorwärts!

Effizient beim Zauberwürfel ist folgende Kombination:

wobei die obere Ebene bei 2 und 4 jeweils um 180° gedreht wird.

Damit tauschen folgende 3 Kantensteine ihren Platz:


Zum Musterdrehen eignet sich die letzte der hier vorgestellten Folgen. Dabei kann man entweder hoch-hoch-runter-runter drehen oder immer hoch und dabei den Würfel jedesmal um 90° im Ganzen im Uhrzeigersinn drehen:


Heraus kommt ein Ringtausch der Mittelsteine:


Mit diesen drei Prinzipien habe ich bisher alle Puzzle gelöst bzw. nutze sie zum Musterdrehen. Man muss nicht viel behalten, nach ca. 35 Jahren Pause zwischen den Achtzigern und dem Lockdown konnte ich mich immer noch gut an sie erinnern...





Würfelfreuden 2: Die Parität

Wenn man sich das Gottes-Prinzip aus dem vorherigen Eintrag anschaut, fragt man sich vielleicht: Ok, mit diesem Prinzip kann man ja nur 3 oder mehr Steine gleichzeitig tauschen, da man den Zweiertausch ja immer zweimal anwenden muss. Gibt es nicht Situationen, wo am Ende nur zwei Steine übrig bleiben, die zu tauschen sind? Oder nur einer, der auszurichten ist? Was macht man dann?

Dieser Fall wird Parität oder oft auch englisch Parity genannt. Beim Standard-Zauberwürfel ist das kein Problem und wird intuitiv gelöst (ich erzähle gleich wie). Ab dem 4x4 Würfel und größer bereitet das einem aber Kopfzerbrechen, da man mit dem Gottes-Prinzip hier wirklich nicht mehr weiter kommt.

Bei der letzten Ebene des Zauberwürfels versucht man in der Regel, entweder zuerst die Ecken oder zuerst die Kanten an ihren richtigen Platz zu bringen. Dabei kann man auf folgende Anordnung treffen:

Zwei Ecksteine (bzw. Kantensteine) richtig, zwei nicht, was nun?

In diesem Fall dreht man die 3. Ebene meist intuitiv um 90° nach rechts oder links und probiert es dann. Und siehe da, jetzt kann man es durch einen 3er-Tausch lösen:
Dreht man die Ebene im Bild oben um 90° im Uhrzeigersinn, erhält man den unteren Kantenstein an der richtigen Stelle, die anderen drei müssen getauscht werden. Analog auch die Ecksteine.

Damit ist die Parität beim 3x3-Würfel ohne viel Nachdenken gelöst. Glücklicherweise tritt es für Kanten und Ecksteine gemeinsam auf, hat man es wie hier für die Kantensteine gelöst, tritt es auch nicht mehr bei den Ecksteinen auf. Der Fall, dass beim Ausrichten nur ein Stein übrig bleibt, tritt nicht auf.

Parität bei größeren Würfeln

Beim Lösen vom 4x4-Würfel stößt man dann irgendwann einmal auf folgende Situation:

Parität beim 4x4-Würfel

Das macht einen am Anfang wahnsinnig, da man vielleicht keine andere Lösung findet, als den Würfel wieder zu verdrehen und zu hoffen, dass die Parität beim nächsten Mal nicht mehr auftritt. Chance wahrscheinlich 50:50. Auch eine einfache Drehung der obersten Ebene um 90° oder 180° bringt hier anders als beim 3x3-Würfel keine Abhilfe. Was hilft, ist folgendes:

Drehung einer der beiden Mittelebenen um 90°

Danach muss man 4 Kantensteinpaare mit dem Gottes-Prinzip vertauschen und die verdrehten Mittelsteine wieder richten. Will man die Mittelsteine nicht ausrichten, kann man auch folgende Zugfolge ausführen:
  1. Drehen der Mittelebene wie im Bild oben
  2. Drehen der obersten Ebene um 180°
  3. Teil 1 und 2 insgesamt 4x ausführen
  4. Teil 1 ein 5. Mal ausführen
Dann sind insgesamt 5 Kantensteine am falschen Platz. Diese Kombination habe ich irgendwann einmal zufällig durch Ausprobieren gefunden, dazu mehr im nächsten Blog-Beitrag. Hiermit kann man die Parität bei allen großen Würfeln lösen.

Achso, wie vertauscht man Kantensteine, die wie jetzt über mehrere Würfel-Ebenen verteilt sind? Also z.B. das hier:

Die drei zu tauschenden Kanten liegen nicht alle in der obersten Ebene, und nun?

In dem Fall dreht man zuerst den gelben Kantenstein unten in die obere Ebene (Züge merken!), macht dann den Dreiertausch über zwei Paartausche und dreht dann rückwärts den nun grünen Kantenstein wieder zurück:

Drehen des unteren Kantensteins in die obere Ebene


Samstag, 24. September 2022

Würfelfreuden 1: Wie löst man beliebige Zauberwürfel?

Ich liebe Zauberwürfel, egal welche Größe und Form. Ich muss selten eine Lösungsmethode im Internet nachschauen, und als ich in den Achtziger Jahren angefangen hatte, gab es auch gar kein Internet im heutigen Sinne. Es gab Lösungen für den 3x3-Würfel (Spiegel vom 19.01.1981 oder Bücher), für die anderen Würfel war man damals im Prinzip auf sich selbst angewiesen. Der Zauberwürfel kam in Deutschland 1980 raus, meine Eltern schenkten ihn uns drei Brüdern zu Weihnachten. Ich war zwölf und konnte ihn nicht lösen, bis der Spiegel die Lösung heraus brachte. Später hatte ich eine Pyramide, Tonne, den 5x5-Würfel und einiges mehr. Heute habe ich zusammen mit meiner Tochter Melissa 24 Puzzle:

Familientreffen unserer Zauberwürfel, die Originale aus den Achtzigern in der Mitte

Ich bin nicht schnell, für den normalen Zauberwürfel benötige ich 2-3 Minuten, der Weltrekord liegt bei 3-4 Sekunden! Ich habe mich eher auf Muster spezialisiert und Freistil-Lösen von beliebigen Puzzlen. Im Lockdown habe ich das Hobby wieder reaktiviert. 

Wie löst man nun einen beliebigen Zauberwürfel? Ich gehe zweistufig vor: in der ersten Stufe löse ich intuitiv, so weit ich komme. Das war beim normalen Zauberwürfel früher die 1. (von den drei) Ebene sowie die zweite Ebene bis auf den letzten Randstein. Den letzten Randstein der 2. Ebene löse ich immer noch mit der Spiegelmethode von 1981, aber ich könnte hier auch schon aufhören und in die zweite Stufe eintreten. Dann bleibt noch die 3. und letzte Ebene übrig. Von hieran nutze ich ein universelles Prinzip, das ich Gottes-Prinzip nenne. Komischerweise habe ich dieses Prinzip im Internet kaum gefunden, deshalb kenne ich auch keinen offiziellen Namen dafür. Die einzige Darstellung habe ich hier entdeckt (sehr gute Erklärung auf englisch). Mir ist es in den Achtzigern irgendwann von alleine als Erleuchtung gekommen und von da an konnte ich z.B. den 5x5-Würfel selber lösen.

Das Gottes-Prinzip

Beim Gottesprinzip tauscht man 2 Randsteine oder 2 Ecksteine auf der 3. (letzten) Ebene, ohne den Rest der 3. Ebene zu verändern. Die Ebenen 1 und 2 werden dabei ganz schön verdreht, das ist aber egal. Man findet hier leicht intuitiv eine Zugfolge, denn man hat die 1. Ebene ja auch intuitiv gelöst. Zur Einfachheit dreht man den Würfel dazu auf den Kopf, so dass die gelösten beiden (1. und 2.) Ebenen unten sind, die ungelöste 3. oben. Was passiert nun, wenn man dieselbe Zugfolge genau rückwärts ausführen würde? Na klar: dann tauscht man die beiden Steine in der 3. Ebene wieder zurück und richtet automatisch die 1. und 2. Ebene wieder her.

So weit, so gut, aber was bringt uns das? Dann wären wir ja genau dort wieder, wo wir angefangen haben. Also kommt jetzt der Clou: bevor man die Zugfolge wieder rückwärts dreht, dreht man die obere 3. Ebene um 90° oder um 180°, danach führt man die Zugfolge rückwärts aus. Was passiert dabei? Unten wird die 1. und 2. Ebene wieder hergestellt, oben in der 3. Ebene tauschen aber zwei andere Steine als die beiden ursprünglichen. Zum Schluss dreht man die 90°- oder 180°-Drehung der obersten Ebene wieder zurück. Nun hat man den Würfel wieder wie vorher, außer dass man entweder in der 3. Ebene 4 Steine paarweise vertauscht (bei der 180°-Drehung) hat:


oder 3 Steine im Kreis (bei der 90°-Drehung):


Letztlich besteht die ganze Zugfolge aus 4 Teilen:

  1. Intuitive Zugfolge zum Vertauschen von 2 Steinen
  2. Drehen der obersten Ebene um 90° oder um 180°
  3. Zugfolge aus Teil 1 rückwärts
  4. Drehung aus Teil 2 rückwärts
Man kann das auf Kantensteine oder Ecksteine anwenden und damit die restliche Ebene lösen. Das Ausrichten von Steinen (Stein an der richtigen Stelle, aber verdreht) geht genauso: Man richtet erst den einen Stein intuitiv aus, dreht die oberste Ebene und richtet dann mit der gleichen Zugfolge rückwärts den 2. Stein aus.

Die Schwierigkeit reduziert sich damit darauf, sich die intuitive Zugfolge genau zu merken, damit man sie im 3. Schritt exakt rückwärts ausführen kann. Dafür versteht man bei jedem Zug genau, was man macht, die Züge ergeben einen Sinn (im Gegensatz zu auswendig gelernten Zügen aus Lösungsanleitungen) und man kann sie universal für alle Würfelgrößen und -formen anwenden.

Es gibt noch eine Besonderheit (die Parität) und eine weitere Herangehensweise für das Finden von einfachen Zugfolgen, über die ich in einem späteren Blogbeitrag schreiben will.

Wenn Ihr das Prinzip noch nicht gleich richtig verstanden habt, nicht schlimm. Lest Euch dann vielleicht die ausführliche englische Anleitung durch, die bestimmt verständlicher ist. Ansonsten gerne Fragen im Kommentar!

Freitag, 5. Februar 2021

Alltag im Lockdown II

Das Zeitalter der Aufklärung

Angela Merkel ist Physikerin und damit Naturwissenschaftlerin. Unter den Präsidenten und Premierministern der G8-Staaten ist sie damit alleine, die anderen sind alle Geisteswissenschaftler: Jura (4x), Philosophie und Politik (Macron), Literatur (Trudeau) oder Klassisches Altertum (Johnson). 

Die Naturwissenschaften prägen unser Weltbild seit dem Ende des Mittelalters, eine bedeutende Rolle nahm im 16. und 17. Jahrhundert Galileo Galilei ein, der beobachtete und Experimente durchführte, diese mathematisch auswertete und die daraus gewonnenen Ergebnisse über theologisch oder philosophisch begründete Aussagen stellte. So entwarf er sein Weltbild mit der Sonne im Mittelpunkt aus den Sternbeobachtungen und war damit im Widerspruch zur Kirche, die die Erde in den Mittelpunkt stellte. Das Ende kennt jeder: die Kirche machte ihm den Prozess, er musste widerrufen, behielt aber Recht und wurde 350 Jahre nach seinem Tod 1992 von Papst Johannes Paul II rehabilitiert.

Mein letzter Friseurbesuch war im Oktober, Vergleich mit heute...

Ich bin selber Physiker und natürlich von dieser Geschichte begeistert. Es setzte das Zeitalter der Aufklärung ein und die Naturwissenschaften konnten nicht alles, aber doch immer mehr Phänomene erklären. 

Über Angela Merkel kann man denken, was man will, ihr naturwissenschaftlicher, pragmatischer Ansatz hat ihr über alle Parteigrenzen und -ideologien hinweg Sympathien gebracht. In Umfragen finden 84% der Befragten ihre Arbeit eher gut als schlecht und im Vergleich hat sie meist die beste Note für deutsche Spitzenpolitiker. Sie hat die Atomkraftwerke abgeschaltet, die Ehe für alle ermöglicht und als kein passender CDU-Kandidat in Sicht war, auch Gauck und Steinmeier als Bundespräsidenten unterstützt. Bei den beiden größten Herausforderungen Klimakatastrophe und Massensterben der Arten ist sie allerdings zu spät dran oder untätig geblieben.

Verlockung im Lockdown

Was mir derzeit beim Lockdown Sorge bereitet, ist die Abwendung von immer mehr Menschen weg vom naturwissenschaftlichen Ansatz und hinein in ein Paralleluniversum von "alternativen Fakten" und Verschwörungstheorien. Ein in keinster Weise belegter Wahlbetrug wird ja z.B. nicht dadurch wahr, dass man das immer wieder wiederholt, bis einem die Kommunikationskanäle abgedreht werden. Sondern nur durch Fakten und Beweise, die es offenbar nicht gab. Dass diese Lügen einen Mob aufhetzen, der schließlich das Parlament erstürmt, ist unfassbar, ebenso, dass die Chancen für eine Bestrafung dieser Tat eher schlecht stehen.

Als beim ersten Lockdown Christian Drosten die Politik beraten hat, fand ich das gut. Dass er nicht unfehlbar ist und seine Meinung mehrfach gewechselt hat, ist auch einleuchtend, denn es gab ja noch wenig Erkenntnisse zur Virusausbreitung. Im zweiten Lockdown hat sich eine ganze Gruppe von Wissenschaftlern gebildet und das Konzept NoCovid der Ministerpräsidentenkonferenz vorgeschlagen. Ich würde mir wünschen, dass auch bei der Klimakatastrophe die Wissenschaftler angehört werden.

Pflegeheime


Corona-Tote in Deutschland nach Alter, die Zahlen sprechen leider für sich

Der Umgang mit den alten Menschen im Lockdown ist im wahrsten Sinne des Wortes unerhört. Die Toten sind fast ausschließlich Alte (siehe Grafik oben), und es passiert einfach zu wenig. Im ersten Lockdown war es gar nicht möglich, ein Pflegeheim zu betreten, man konnte nur fensterln. Zum Glück hat mein Vater ein Zimmer im Erdgeschoss, wo man das problemlos durch die Balkontür tun konnte. Beim zweiten Lockdown waren ja dann die Schnelltests verfügbar, wurden aber nicht konsequent eingesetzt und angeboten. Erst eine Woche vor Weihnachten konnte ich meinen Vater nur noch mit Schnelltest besuchen, der auch zum Glück vor Ort im Pflegeheim durchgeführt wird. Bei anderen Pflegeheimen muss man sich den Test (kostenpflichtig) in der nächsten Apotheke besorgen oder auf regionale Angebote setzen wie in Berlin. Mein Vater ist schon zweimal geimpft, Losglück.

Mein Vater

Föderalismus

Deutschland ist ein Bundesstaat aus 16 Bundesländern. Das ist wohl selten so aufgefallen wie beim Lockdown. Man fühlt sich in die Kleinstaatlichkeit des 19. Jahrhunderts zurückversetzt, als in jedem deutschen Fürstentum andere Gesetze galten. Im Speckgürtel von Berlin muss man da ständig die Corona-Verordnungen von Berlin und von Brandenburg studieren und deren Unterschiede kennen, wenn man in Berlin arbeitet, dort ein Pflegeheim besucht oder die Tochter die Ballettschule besucht, sie aber in Brandenburg zur Schule geht, man in beiden Bundesländern Freunde trifft (in Berlin zählen aktuell Kinder bis 12 Jahre, aber nur bei bei Alleinerziehenden, nicht zur Kontaktbeschränkung, in Brandenburg Kinder unter 14 Jahren generell, ein Kindergeburtstag ist hier also möglich), joggen (war in Berlin über Weihnachten nachts möglich, in Brandenburg nicht, naja eher theoretisch zu sehen) oder spazieren gehen will, draußen einen Glühwein trinken möchte (was in Berlin möglich war, in Brandenburg nicht) oder zu Silvester wenigstens Wunderkerzen kaufen möchte (war in Brandenburg möglich, in Berlin nicht). 

Potsdam im Lockdown, darf ich da mit dem Fahrrad gerade hinfahren?

Manche sagen, die Corona-Regeln würden am Parlament vorbei im Hinterzimmer der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), einem inoffiziellen Organ, entschieden. Das kann man so nicht sagen, sie werden in 16 Landesparlamenten entschieden und die regionalen Besonderheiten dabei berücksichtigt. Damit es nicht zu sehr ausufert, ist die Vorabstimmung in der MPK sinnvoll.