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Samstag, 26. August 2006

Leben wie ein Filmstar

Also ich glaube, wir Voluntäre aus den unterschiedlichsten Ländern sind schon eine kleine Attraktion hier in Ecuador. Wir fallen auf, durch unser Aussehen (viele sind blond und gross), durch die Sprache, die Kleidung. In meinem Fall kam ich mir die letzten Tage manchmal vor wie ein Filmstar. Zwei Beispiele aus meiner Arbeit im Zoo:

1. Gestern gehe ich an dem Zoo-Imbiss vorbei, wo alle Besuchergruppen Pause machen. Eine der Guides stellt mich kurz ihrer Gruppe, etwa 10 jungen Studenten, vor: Esto es Tim de Alemania - Das ist Tim aus Deutschland. Schon geht es los von allen Seiten mit den üblichen Fragen: Wie lange bin ich hier, wie gefällt mir Ecuador, wie war die Fussball-WM, aber auch: wie alt bin ich, habe ich eine Freundin, wie gross bin ich (einen 2 Meter-Menschen hat hier noch keiner gesehen...), wie gefallen mir die Latino-Frauen. Ich beantworte alles brav in meinem besten Spanisch. Nach der Familienstandsfrage steht eine junge, schlanke Latino-Schönheit auf, verrät mir ihre Grösse (1,71, für hiesige Verhältnisse sehr gross) und fragt mich kurz vorm Weitergehen der Gruppe nach meiner Handynummer, man könnte ja mal Bowling-Spielen gehen in San Marino, einer grossen Mall hier. Das Mädchen ist 17, ich könnte gut ihr Vater sein, aber irgendwie fühle ich mich doch sehr geschmeichelt...

2. Freitag vormittag sind im Zoo immer besonders viele Schulklassen, also passe ich heute bei einem Absperrgitter auf, dass eine auf die Rückfahrt zur Schule wartende Klasse nicht zu viel Unfug treibt. Die Kinder sind im Grundschulalter. Auf einmal kriegen sie mit, dass ich Deutscher bin und ein paar Brocken Spanisch spreche und sofort drückt sich eine grosse Traube an das Gitter (Filmstargefühl...) und alle fragen gleichzeitig, wie es bei Kindern üblich ist: Como se dice profesore en aleman - Was heisst Lehrer auf deutsch? Wobei "Lehrer" bei jedem Kind durch ein anderes Wort im Satz ersetzt wird: Schlange, Affe, dick, schön, Blatt, Direktorin, Schwein, Ecuador, und "deutsch" auch manchmal durch "englisch" oder "italienisch", weil die Kinder so aufgeregt sind oder es bis zu ihnen noch nicht durchgedrungen ist, woher ich komme. Das Ganze geht ununterbrochen für ca. 15 Minuten. Die Lehrerin ist froh, dass die Klasse eine Weile beschäftigt ist und ich bin froh, dass die Schulklassen hier nur Freitag Vormittag so gehäuft auftreten, und nicht jeden Tag.

Aber das Leben als Filmstar hat auch seine Schattenseiten: Eine sehr schöne blonde Voluntärin fährt wieder vorzeitig zurück, unter anderem, weil sie überall auf der Strasse, im Bus usw. nur noch von Männern angesprochen wird, die sich nicht unbedingt für ihre geistigen Fähigkeiten interessieren.

Meist wird so eine Anmache als typisch latinischer Machismo abgetan. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass in den meisten Fällen die Anmache nicht im Vordergrund steht, sondern a) das ehrliche Interesse der Ecuadorianer an fremden Kulturen und b) die offene Art der Latinos, schnell und ohne Umschweife mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Und das nach meiner Erfahrung noch mehr an der tropischen Küste Ecuadors als in der schroffen Sierra. Hier gibt es auf Partys keine peinlichen Schweigepausen, und im Bus sitzt man bei Salsamusik mit wildfremden Menschen in engem Körperkontakt zusammen, die einen fragen, ob sie einen Teil der Zeitung lesen dürfen. Ausser Religion (und selbst da hatte ich schon interessante Diskussionen...) gibt es keine Tabuthemen oder -fragen, man spricht hier offen über sein Alter, Einkommen, Familienstand (manchmal wird hier auch etwas geprahlt: "Ich habe 4 Frauen"), Vorlieben, und alles gleich beim ersten Gespräch. Man reicht (z.B. in der Disko) die Bierflasche herum, aus der alle gemeinsam nacheinander trinken, das gleiche passiert mit Colabechern in der Arbeitspause und zuhause ist sowieso alles Gemeineigentum: das Bett wird von anderen als Sofa oder zum Bügeln benutzt (wobei das Laken schon mal angesengt wird) und im Badezimmer wird alles, was herumsteht von allen benutzt (ich hoffe, ausser den Zahnbürsten und den Handtüchern...).

2 Kommentare:

  1. Hallo Tim,

    das mit Anita tut mir schrecklich leid, auch hier in Esmeraldas haben wir als Voluntäre immer wieder das Gefühl im Zoo zu leben, denn alle schauen einen direkt an, machen Fotos und versuchen mit ein paar Brocken English (Hello my friend) einem in ein Gespräch zu verwickeln. Die Mädels hier haben es besonders schlimm, denn da wollen alle immer direkt ihre Telefonnummer. Bei ist es Gott sei dank noch nicht vorgekommen, aber ich wurde schon mehrfach von Kindern in der Fundacion oder aus dem Colegio gefragt ob ich sie im Reisegepäck mit nach Deutschland nehme. Ich finde diese Vorstellung niedlisch aber nehme sie nicht ernst.
    Auch werden wir, Sybille und ich, oft auf der Straße ohne irgendwelche anderen Kommentare angequatscht, ob wir ihnen einen Dollar geben. Als würde ich darauf sagen, klar doch kommt alle zu mir und nehmt mein Geld. Wir sind hier halt doch was besonderes und bei einem nicht einheimisches "Pärchen" (trotz allen Gerüchten, nein wir sind nicht zusammen) glaubt man dass sie einfach so Geld verschenken.

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  2. Hallo Enrico,

    dann ist es bei Euch ja noch einen Zacken schaerfer, um Geld wurde ich noch nicht angebettelt. Allerdings werde ich oft nach meinem Einkommen in Deutschland gefragt, das ist keine Tabufrage wie bei uns in Deutschland, und in welchen Laendern ich schon ueberall war. Wenn ich nur halbwegs wahrheitsgemaess antworte, werde ich fast unglaeubig angeschaut und hoere, dass die Ecuadorianer auch gerne verreisen wuerden. Bei 1$ Stundenlohn (passt zu Deinem 1$-Artikel...) koennen sich das aber die wenigsten leisten.

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