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Freitag, 5. Februar 2021

Alltag im Lockdown II

Das Zeitalter der Aufklärung

Angela Merkel ist Physikerin und damit Naturwissenschaftlerin. Unter den Präsidenten und Premierministern der G8-Staaten ist sie damit alleine, die anderen sind alle Geisteswissenschaftler: Jura (4x), Philosophie und Politik (Macron), Literatur (Trudeau) oder Klassisches Altertum (Johnson). 

Die Naturwissenschaften prägen unser Weltbild seit dem Ende des Mittelalters, eine bedeutende Rolle nahm im 16. und 17. Jahrhundert Galileo Galilei ein, der beobachtete und Experimente durchführte, diese mathematisch auswertete und die daraus gewonnenen Ergebnisse über theologisch oder philosophisch begründete Aussagen stellte. So entwarf er sein Weltbild mit der Sonne im Mittelpunkt aus den Sternbeobachtungen und war damit im Widerspruch zur Kirche, die die Erde in den Mittelpunkt stellte. Das Ende kennt jeder: die Kirche machte ihm den Prozess, er musste widerrufen, behielt aber Recht und wurde 350 Jahre nach seinem Tod 1992 von Papst Johannes Paul II rehabilitiert.

Mein letzter Friseurbesuch war im Oktober, Vergleich mit heute...

Ich bin selber Physiker und natürlich von dieser Geschichte begeistert. Es setzte das Zeitalter der Aufklärung ein und die Naturwissenschaften konnten nicht alles, aber doch immer mehr Phänomene erklären. 

Über Angela Merkel kann man denken, was man will, ihr naturwissenschaftlicher, pragmatischer Ansatz hat ihr über alle Parteigrenzen und -ideologien hinweg Sympathien gebracht. In Umfragen finden 84% der Befragten ihre Arbeit eher gut als schlecht und im Vergleich hat sie meist die beste Note für deutsche Spitzenpolitiker. Sie hat die Atomkraftwerke abgeschaltet, die Ehe für alle ermöglicht und als kein passender CDU-Kandidat in Sicht war, auch Gauck und Steinmeier als Bundespräsidenten unterstützt. Bei den beiden größten Herausforderungen Klimakatastrophe und Massensterben der Arten ist sie allerdings zu spät dran oder untätig geblieben.

Verlockung im Lockdown

Was mir derzeit beim Lockdown Sorge bereitet, ist die Abwendung von immer mehr Menschen weg vom naturwissenschaftlichen Ansatz und hinein in ein Paralleluniversum von "alternativen Fakten" und Verschwörungstheorien. Ein in keinster Weise belegter Wahlbetrug wird ja z.B. nicht dadurch wahr, dass man das immer wieder wiederholt, bis einem die Kommunikationskanäle abgedreht werden. Sondern nur durch Fakten und Beweise, die es offenbar nicht gab. Dass diese Lügen einen Mob aufhetzen, der schließlich das Parlament erstürmt, ist unfassbar, ebenso, dass die Chancen für eine Bestrafung dieser Tat eher schlecht stehen.

Als beim ersten Lockdown Christian Drosten die Politik beraten hat, fand ich das gut. Dass er nicht unfehlbar ist und seine Meinung mehrfach gewechselt hat, ist auch einleuchtend, denn es gab ja noch wenig Erkenntnisse zur Virusausbreitung. Im zweiten Lockdown hat sich eine ganze Gruppe von Wissenschaftlern gebildet und das Konzept NoCovid der Ministerpräsidentenkonferenz vorgeschlagen. Ich würde mir wünschen, dass auch bei der Klimakatastrophe die Wissenschaftler angehört werden.

Pflegeheime


Corona-Tote in Deutschland nach Alter, die Zahlen sprechen leider für sich

Der Umgang mit den alten Menschen im Lockdown ist im wahrsten Sinne des Wortes unerhört. Die Toten sind fast ausschließlich Alte (siehe Grafik oben), und es passiert einfach zu wenig. Im ersten Lockdown war es gar nicht möglich, ein Pflegeheim zu betreten, man konnte nur fensterln. Zum Glück hat mein Vater ein Zimmer im Erdgeschoss, wo man das problemlos durch die Balkontür tun konnte. Beim zweiten Lockdown waren ja dann die Schnelltests verfügbar, wurden aber nicht konsequent eingesetzt und angeboten. Erst eine Woche vor Weihnachten konnte ich meinen Vater nur noch mit Schnelltest besuchen, der auch zum Glück vor Ort im Pflegeheim durchgeführt wird. Bei anderen Pflegeheimen muss man sich den Test (kostenpflichtig) in der nächsten Apotheke besorgen oder auf regionale Angebote setzen wie in Berlin. Mein Vater ist schon zweimal geimpft, Losglück.

Mein Vater

Föderalismus

Deutschland ist ein Bundesstaat aus 16 Bundesländern. Das ist wohl selten so aufgefallen wie beim Lockdown. Man fühlt sich in die Kleinstaatlichkeit des 19. Jahrhunderts zurückversetzt, als in jedem deutschen Fürstentum andere Gesetze galten. Im Speckgürtel von Berlin muss man da ständig die Corona-Verordnungen von Berlin und von Brandenburg studieren und deren Unterschiede kennen, wenn man in Berlin arbeitet, dort ein Pflegeheim besucht oder die Tochter die Ballettschule besucht, sie aber in Brandenburg zur Schule geht, man in beiden Bundesländern Freunde trifft (in Berlin zählen aktuell Kinder bis 12 Jahre, aber nur bei bei Alleinerziehenden, nicht zur Kontaktbeschränkung, in Brandenburg Kinder unter 14 Jahren generell, ein Kindergeburtstag ist hier also möglich), joggen (war in Berlin über Weihnachten nachts möglich, in Brandenburg nicht, naja eher theoretisch zu sehen) oder spazieren gehen will, draußen einen Glühwein trinken möchte (was in Berlin möglich war, in Brandenburg nicht) oder zu Silvester wenigstens Wunderkerzen kaufen möchte (war in Brandenburg möglich, in Berlin nicht). 

Potsdam im Lockdown, darf ich da mit dem Fahrrad gerade hinfahren?

Manche sagen, die Corona-Regeln würden am Parlament vorbei im Hinterzimmer der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), einem inoffiziellen Organ, entschieden. Das kann man so nicht sagen, sie werden in 16 Landesparlamenten entschieden und die regionalen Besonderheiten dabei berücksichtigt. Damit es nicht zu sehr ausufert, ist die Vorabstimmung in der MPK sinnvoll. 

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