Als ich letzten Montag früh um 10:00 zufällig am Zooausgang sitze und mit einer Kollegin beim Mischen der Schneckennahrung schwatze, fährt mein Chef Ricardo (der Juniorchef und Sohn des Besitzers) gerade mit dem Auto heraus, hält an und fragt, ob ich nach Cuenca mitkommen will. Cuenca liegt in den Anden auf ca. 2.500 m Höhe und ist drei Autostunden von Guayaquil entfernt, es ist ein Muss für jeden Ecuador-Reisenden, ich kenne es noch nicht. Ich frage: wann? und bekomme als Antwort: jetzt sofort. Das nenne ich Spontaneität: keine grossen Formulare ausfüllen, auf nichts vorbereitet sein, und los! Natürlich sage ich zu, nachdem ich schnell noch das Schneckenfutter dem Zoobiologen übergeben habe, der sich freut, dass er heute meine Arbeit übernehmen darf.
Spanischer Kolonialstil5 Minuten später sitzen wir im Auto und fahren die nächsten drei Stunden an Bananen-, Kakao- und Reisplantagen vorbei. Dann fängt plötzlich das Gebirge an, die Serpentinen winden sich auf 4.000 m Höhe hoch, ich friere etwas, habe ja nur ein kurzärmeliges Hemd für die Küstentemperaturen von 30°C an. Cuenca selbst liegt in einem Kessel, umgeben von Bergen, und hat im Gegensatz zum modern-hässlichen Guayaquil eine wunderschöne spanische Kolonialstil-Architektur. Dort treffen wir Ernesto, den Besitzer des dortigen Zoos (eigentlich mehr ein Aquarium mit Fischen und Reptilien bis hin zu einem Krokodil) und Freddy, dessen Vater aus Münster kommt und der gut deutsch sprechen kann. Es soll das Fest von Cuenca im November vorbereitet werden, dort wird es eine Ausstellung mit Tieren aus beiden Zoos geben: Capybaras, Ozeloten, Papageien, ein Krokodil, Eulen usw. Wir gucken uns das Gelände an, reden mit den Veranstaltern, besuchen noch eine Pflanzenzucht, weil jemand die Idee hat, zusätzlich noch Pflanzen auf der Messe zu verkaufen.
Wir fahren mit Freddys Ford-Geländewagen, Ricardo und ich sitzen hinten. Ich erlebe auf diesem kurzen Stück zum ersten Mal, dass sich ein Ecuadorianer, nämlich Ricardo, auf einmal hinten anschnallt. Freddy hat nämlich einen Fahrstil, der selbst für Ecuadorianer ungewöhnlich ist. Er nutzt alle PS des Autos aus (und dieses scheint viele zu haben...), um eine schnellstmögliche Beschleunigung und Geschwindigkeit zu erreichen, die Reifen quietschen in jeder Kurve. Zum Warmwerden trinkt er schottischen Whiskey, den er zur Tarnung in eine Metall-Isolier-Tasse füllt und im Auto rumreicht. Mit einer Hand telefoniert er auf seinem Handy. Ich bin froh, dass die Fahrt bald vorbei ist, überlege, ob James Deans letzte Fahrt ähnlich gewesen ist und beschliesse, nicht mehr bei Freddy mitzufahren.
Da es schon spät ist, verlängern wir um einen Tag und ich miete mich in einem schicken Altstadthotel für 10$ ein. Inzwischen hat mir Ernesto auch noch eine Jacke geliehen, abends ist es doch etwas kalt hier.
Am nächsten Tag fährt uns Ernesto zu einem wunderbaren Hanggrundstück, mehrere Hektar gross, dass seinen Eltern gehört. Auf einer Ebene steht ein kleines verlassenes Haus, dass seinen Grosseltern gehört, ringsherum Wälder, Wiesen und immer wieder spektakuläre Ausichtspunkte vom Berg auf die Stadt Cuenca. "Was meint ihr," fragt uns Ernesto, "hier kommt ein Zoo hin, dort am Hang die Bären, hier Parkplatz und Restaurant, im Wald die Hirsche, dort Jaguare, die Besucher können den ganzen Tag hier verbringen, auf den Berg klettern, für Lauffaule bieten wir Lama-Ritte an, einen Shop, Aussichtspunkte! Wär das auch was für deutsche Touristen?" Der Mann ist 24 und kann mit seinen Visionen begeistern. Den ersten Zoo in einem Altstadthaus hat er auch selbst aufgebaut und liebevoll mit vielen Lernstationen für Kinder eingerichtet. Ich beschliesse, in 2-3 Jahren wiederzukommen und den Fortschritt des Projektes zu verfolgen. Nachmittags fahren wir wieder zurück, durch einen Nationalpark und abends und am nächsten Tag erzähle ich meiner verdutzten Gastfamilie und den Kollegen, wo ich die letzten beiden Tage war. Beim Fest in Cuenca im November bin ich wieder dabei, dann nehme ich auch einen Fotoapparat mit (die Bilder dieses Berichts sind gegoogelt)...
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