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Samstag, 14. Oktober 2006

Ausflug nach Quevedo

Weil ich so gerne reise, fragen mich immer mehr Freunde im Zoo, ob ich mit ihnen einen Wochenendausflug machen will. So hat mich Narcisa am letzten Wochenende zum Geburtstag ihrer Oma nach Quevedo eingeladen. Ihr Freund Marcelo musste im letzten Moment absagen, da sein Brunder krank im Hospital lag. Quevedo liegt 3 Stunden entfernt in der inneren Costa, d.h. tropische Hitze ohne Strand. Aber das bin ich ja von Guayaquil gewohnt. In Quevedo angekommen, erwartet mich an einem Hang in der Stadt das Haus der Familie, typisch für die Häuser dieser Region: einstöckig, spitzes Blechdach, die Wände innen hören bei ca. 2,50 auf, darüber ist keine Zimmerdecke, sondern nur die Dachkonstruktion, unlackierter Holzfussboden, Fenster- und Türaussparungen ohne Fenster und Türen (ausser der Eingangs- und der Badtür), als Türen werden Vorhänge verwendet. Die Wände sind innen und aussen verputzt, was einen gewissen Wohlstand zeigt. Wenn man eintritt, steht man in einem grossen Raum, der Wohnküche, im ersten Drittel befinden sich an den Wänden hufeisenförmig Couchgarnituren und Stühle, an der vierten Seite steht ein Fernseher, im zweiten Drittel zwei grosse Esstische und im letzten Drittel eine offene Küche mit Theke zum Wohnraum hin. Diese Aufteilung ist sehr typisch für Ecuador, wobei die Sitz- und Fernsehecke in der Regel nur für Feiern benutzt wird, ansonsten ist das Schlafzimmer der Eltern das eigentliche Wohnzimmer.

Die Begrüssung ist wie immer herzlich, als ob ich ein lang nicht mehr gesehener Verwandter bin, eine Tante steigt wegen des Grössenunterschiedes spontan auf einen Küchenschemel, um mich zu umarmen. "Das ist also famoso Tim - der berühmte Tim" empfängt mich die Schwester Marlyn. Anscheinend wurde im Vorfeld schon viel über den grossen, blonden Gringo berichtet... Mir wird ein Platz angeboten und während ca. 5 Frauen in der Küche herumwüten, sitzt der Rest herum, unterhält sich, begrüsst die ständig neu eintreffenden Verwandten (es werden ca. 40-50 Personen). Zwischendurch gehen wir Chicos (die Jüngeren) durch die Stadt spazieren und kaufen Schuhe für die Oma, perlenbestickte Schlupfschuhe für 30$ ("Das ist teuer, in Guayaquil kosten die die Hälfte", meint Narcisa). Die Städte haben hier viel Beton und wenig Grün, ein Geschäft reiht sich an das nächste. Danach das erste Duschen und Feinmachen fürs Geburtstagsessen. Erst kommt aber noch ein bestellter Gitarrensänger, der lustige Volkslieder singt (deren Texte ich leider nicht verstehe). Spontan wird die Oma vom Schwiegerenkel zum Tanz aufgefordert und dann von Mann zu Mann weitergereicht, ich tanze zum Schluss mit ihr. Alles wird mit einer Videokamera gefilmt. Inzwischen haben die Frauen grosse Teller vorbereitet mit viel Grillfleisch. Ich denke erst, die Teller sind das Buffet, von dem man sich bedient, aber die vollen Teller mit Fleisch sind pro Person gedacht: Würstchen, Rindersteak, Schweinesteak, Hühnchenfleisch, dazu Thunfisch- und Gurkensalat. Endlich mal kein Reis! :o)

Nach dem Essen singt der Barde noch ein lustiges Lied, in dem spontan einzelne Personen der Familie besungen werden, und verabschiedet sich dann. Es wird wieder laut Salsa, Reggaeton und Bachata-Musik angemacht, zu der getanzt wird. Durch die Hitze ist man nach zwei Tänzen total aufgelöst, und so gehe ich zur Abkühlung vor die Tür und schaue den Kindern beim Fussballspielen zu... Ich unterhalte mich mit der ganzen Familie, dem Vater über Hitlers letzte Videos, der Mutter übers Heiraten (ich wäre doch schon maduro - reif) und über die Räuber in Guayaquil (ich solle immer schön aufpassen und nie alleine unterwegs sein) und die Schwester will wissen, wie denn meine Traumfrau, die Prinzessin, aussieht, und ob sie nicht Ecuadorianerin sein könne. Dann wird die Torte präsentiert und das Lied auf die Quinceañera (die Fünfzehnjährige, gemeint ist die Oma...) angestimmt. Happy Birthday auf spanisch, portugiesisch, englisch und schliesslich muss ich natürlich noch die Strophe auf deutsch singen.

Abends um 9:00 leert sich das Haus etwas und Narcisa meint, dass die Chicos jetzt ausgehen. Also zweite Dusche für alle, ich habe gar nicht so viel Kleidung zum Wechseln mit, und wir fahren in zwei Taxen zu einem Strassenfest mit Live-Musik und vielen Diskotheken rechts und links. Der Aufpasser der Diskothek macht Probleme mit Narcisas kleinem Bruder, der erst 12 ist, erst letzte Woche wäre eine Polizeikontrolle gewesen, er wird nicht reingelassen (wobei es nur um ihn geht, über seine gleichaltrige Freundin redet keiner...). Nach langer Diskussion kaufen wir Getränkegutscheine für 10 Bier (= 10$) und alle werden hereingelassen. So einfach ist das.

Nachts wird mir dann ein Einzelzimmer zugewiesen, Bett mit Moskitonetz (mein erstes hier!), ich habe richtig ein schlechtes Gewissen, weil die anderen wahrscheinlich zu fünft pro Zimmer schlafen. Vorher werden aber noch um 3:00 früh Patacones, frittierte Kochbananen, mit dem leckeren weissen Käse zubereitet (diesmal von den Männern...), weil ich auf die Frage "Hunger oder müde?" halb scherzhaft mit "Hunger" geantwortet habe.

Am nächsten Tag dann wie üblich gemeinsames Frühstück im Schlafanzug (gebratene Verdes und Maduros, zwei verschiedene Arten von Kochbananen), und überlegen, was der Tag noch bringt. Schwimmbad wird bald wieder verworfen, da zu teuer, und so gehe ich mit den Mädels zur Fusspflege in ein benachbartes Wohnhaus. Von aussen nichts zu erkennen, man muss wissen, dass das drinnen angeboten wird. Die Pediküre kocht Essen für die Familie, ruft die Kinder zum Essen, der Mann, ein Matrose kommt auch dazu, und zwischendurch werden die Füsse gepflegt und die von mir ausgesuchten Nagelmuster auf die grossen Zehen der Damen lackiert. Ob ich das auch wolle, nur mit Klarlack natürlich? Ich nicke, will mir auch diese Erfahrung nicht entgehen lassen, kostet 1$ für mich.

Um 5:00 nachmittags dann die Heimfahrt im Bus, nicht ohne dass uns noch leckeres Grillfleisch und Reis in den hier üblichen zylinderförmigen, graugeriffelten Plastikschalen mit Klarsichtdeckel für die Fahrt mitgegeben wird. Auch für die Überlandbusse stellen wir uns einfach an die Strasse und halten den nächsten Bus nach Guayaquil an.

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